Die Kälte war wie ein Fluch, der über dem Land lag, eine ständige Erinnerung an die Härte und Unerbittlichkeit des Lebens in diesen Breitengraden
— Aleksis Kivi, Die Sieben Brüder —
Helsinki 🇫🇮
Für die, dies nicht wissen, ich habe die letzten 5 Monate von Januar bis ende Mai in Helsinki gelebt. Helsinki sollte die Stadt meiner großen Auslandserfahrung sein. Ich wusste dass Helsinki kleiner und deutlich weniger besiedelt ist als Berlin. Durch den Winter, der sich dieses Jahr von einer besonders intensiven und hartnäckigen Seite zeigte, waren auf den Straßen nochmal deutlich weniger Menschen zu sehen, als normal. Oft musste ich da an Berlin während der Covid Pandemie denken weil man dort die Stadt das erste Mal richtig leer erlebt hatte. In Helsinki scheint diese Leere während des Winters jedoch normal zu sein. Selbst in der Innenstadt waren kaum Menschen unterwegs. Das war irgendwie angenehm aber auch gruselig, weil es sich bis Ende März nicht ändern sollte. Im Süden der Stadt liegen die Häfen von denen man zum einen nach Stockholm und Tallinn fahren als auch zu den umliegenden kleinen Inseln fahren kann. Die bekannteste Insel in der Nähe ist vermutlich Soumenlinna. Das Weltkulturerbe Soumenlinna liegt etwa 10 Minuten mit der Fähre entfernt vom Marktplatz. Als ich das erste Mal dort war, fuhr man mit der kleinen Fähre durch das blanke Eis. Bei der Überfahrt im Januar hatte man das Gefühl von Titanic und Shutter Island, weil man zum einen mitten im Eis steckte und außerdem noch mit einem kleinen Bot auf eine Insel mit kleinem Anleger und seltsam aussehender Dorfstruktur fuhr. Wenn man dort war, kann man es sich vielleicht ein bisschen vorstellen. Für die die nicht da waren gibt es dazu ein paar Bilder.
Trips und Ausflüge
Wenn ich genau drüber nachdenke, habe ich eigentlich keinen Trip allein gemacht. Irgendwer war eigentlich immer dabei. In den meisten Fällen war ich mit meinem Mitbewohner unterwegs. Er ist mitunter der Grund, warum ich diesen Blog schreibe. Mit Lukas habe ich so ziemlich jedes Café in Helsinki besucht, das man auf der Coffee Map von European Coffee Trip finden kann. Cafés zu besuchen war oftmals der Anlass, in andere Städte zu fahren. So konnten wir den Besuch der “besten” Cafés mit kleinen Städtetrips verbinden.
Wir waren viel unterwegs. Und meistens gesellten sich die Frenchmans aka Tanguy, Victor und Tristan zu unseren Ausflügen. Zusammen besuchten wir Tampere, Lahti, Turku und Stockholm. Dort waren wir in Cafés, Museen, Kirchen und in Stadtparks. Bis Ende April waren alle Ausflüge geprägt von kaltem Winterwetter. Dementsprechend gab es leider nicht allzu viele Touren in die Natur und unsere Ausflüge konzentrierten sich in der Regel auf die Innenräume von Museen und Bibliotheken sowie auf die Ladenflächen lokaler Geschäfte.
Grundsätzlich kann ich auch sagen, dass sich die Städte im Süden Finnlands alle sehr ähnlich sehen und somit quantitativ ähnlich wenig zu bieten hatten.
Dazu muss ich jedoch sagen, dass dieser Umstand die Städte nicht weniger attraktiv gemacht hat. In Berlin ist man diesbezüglich fast schon überstimuliert.
So konnte man jedes Café, jede Kirche und jedes Museum, das man besucht hat, umso mehr genießen. Im Nachhinein würde ich behaupten, dass mir Tampere neben Helsinki am besten gefallen hat. Das kann aber auch daran gelegen haben, dass wir in Tampere das erste Mal richtig schönes Wetter hatten.
Abgesehen von Städtetrips habe ich versucht alle möglichen Veranstaltungen, Museen und Events abzuklappern. Das hat natürlich nicht immer geklappt, jedoch bin ich im Nachhinein sehr zufrieden mit meiner Bilanz. Ich war im Kiasma Kunst Museum (3 Mal), im Naturkundemuseum und am selben Tag tatsächlich noch beim Hockey Spiel. Beim Hockey Spiel waren dann wirklich mal alle dabei. Obwohl ich Hockey selbst brutal langweilig finde und mir das Spiel viel zu lang ging, war der Abend richtig schön und ich erinnere mich wirklich gern daran.
Rovaniemi
Rovaniemi liegt am Polarkreis und ist ein pulsierender Ort mit reicher Kultur, umgeben von unberührter Natur und atemberaubenden Naturphänomenen an jedem Tag des Jahres. Erkunde die arktische Natur bei einer Herbstwanderung in einem Nationalpark. Jage den magischen Bögen des Nordlichts auf einem schnellen Husky-Schlitten hinterher. — Visit Finland
Mit einer großen Vorfreude und einer riesigen Erwartung an den nördlichen Polarkreis flogen meine Freundin Stephi und ich im März nach Rovaniemi. Jedoch erwarteten uns dort weder Rentiere noch Elche, geschweige denn Nordlichter oder der Weihnachtsmann. Bei 2 Grad Celsius am Flughafen in Rovaniemi angekommen, herrschte feuchtes Regenwetter und glatte Straßen. Von dort aus schlugen wir uns durch den anliegenden Wald nach Santa Claus Village durch, um endlich den Weihnachtsmann zu treffen. Spoiler-Alert: Wir haben ihn nicht getroffen. Stattdessen stießen wir auf einen Haufen wildgewordener Einheimischer, die auf ihren Schneemobilen mit hoher Drehzahl Rovaniemis Straßen unsicher machten. Verängstigt und leicht genervt versuchten wir, von da aus einen Bus nach Rovaniemi zu bekommen. An der Bushaltestelle angekommen, lernten wir eine finnische Geologin kennen, die uns von ihren Projekten in Finnland und Schweden, aber auch von ihrem Freund erzählte, der als Wichtel im Santa Claus Village arbeitete. Sie brachte uns in die Stadt und hatte am selben Tag noch eine achtstündige Reise nach Tampere vor sich, weshalb sie auch auf dem Weg nach Rovaniemi war, um dort in den Zug zu steigen.
Die folgenden Tage besuchten wir das Arktis-Museum und machten eine kleine Wanderung zu den Skisprungschanzen im Osten der Stadt. Insgesamt gab es dort auch nicht sehr viel mehr zu sehen, wenn man nicht eine Husky- oder Schneemobiltour plante. Einige meiner Leidensgenossen aus dem Erasmus-Programm fuhren gerade deshalb weiter in den Norden, um dort Ski zu fahren und das norwegische Polarmeer zu sehen.
In der Retrospektive war der Ausflug nach Rovaniemi trotzdem sehr schön, allein weil ich auch endlich mal wieder Zeit mit Stephi verbringen konnte und Helsinki endlich Mal verlassen konnte. Auch wenn in Rovaniemi nochmal deutlich weniger los war als in Helsinki hat es sich am ende doch sehr gelohnt. Würde ich jetzt anderthalb Monate später behaupten.
Road-Trip
Knapp vier Monate dauerte es bis der Frühling in Helsinki einkehrte. Mitte Mai starteten Stephi und ich über ihren Geburtstag in unseren zweiten Ausflug nach Ost-Finnland. Dort wollte ich nun endlich die Elche sehen. Dafür buchten wir uns ein Ferienhaus in der Nähe von Joensuu um von dort aus alle umliegenden Nationalparks abzuklappern.
Als erstes ging es zum Koli-Nationalpark. Der Koli-Nationalpark gilt soweit ich weiß als größere Tourismus Attraktion in Finnland und zieht dementsprechend viele Wanderer an. Der Haken ist jedoch, dass man unglaublich schlecht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dort hinkommt. Zum Glück waren wir mit dem Auto unterwegs und konnten die 50 Kilometer Schotterstraße von unserem Ferienhaus bis zum Nationalpark selbst fahren.
In Koli selber, haben wir natürlich weder einen Elch noch andere Tiere gesehen. Bis auf den großen Haufen Bärenscheiße (ich hab es gegoogelt) gab es keine Anzeichen auf überhaupt ein anderes Lebewesen im Park. Nachdem wir auch hier bis auf wunderschöne Natur keine Tiere gesehen haben, entschieden wir uns am Folgetag nochmal einen Trip Richtung russische Grenze zum Partvinsuo Nationalpark zu machen.
Wenn Sie die offenen Sümpfe von Patvinsuo absuchen, können Sie mit etwas Glück einen Bären in der Ferne sehen, obwohl Bären normalerweise ihr Bestes tun, um Menschen zu meiden. Von Aussichtstürmen aus können Sie an nebligen Herbstmorgen, in hellen Sommernächten oder im Frühjahr, wenn die Vögel zum Füttern und Brüten in die Sümpfe strömen, die wechselnde Sumpflandschaft überblicken. — Partvinsuo, Nationalparks.fi
Nach einer kurzen Recherche wurden mir im Zusammenhang mit diesem Nationalpark überdurchschnittlich viele Bilder von Braunbären vorgeschlagen. Daraufhin gab es für mich auch nur eine echte Option. Wir mussten uns nochmal durch etwa 60 Kilometer Schotterstraße zu den Sümpfen Ost-Finnlands schlagen, um dort Bären und Elche zu sehen.
Aber auch hier, wer hätte es geahnt, gab es weder einen Elch noch einen Bären vor die Linse. Ist wahrscheinlich auch besser so. Die Wanderwege dort sind nämlich, anders als in Deutschland, ein bisschen wilder und auch uneinsichtiger. Wenn da ein Elch, geschweige denn ein Bär, aus dem Gebüsch gekommen wäre, wären wir schön am Arsch gewesen.
Lukás
Auch lazy bastard genannt. War mein Mitbewohner und auch Weggefährte über die fünf Monate. Mit Ihm kämpfte ich mich durch Uni Kurse, Krisen, Heimweh und andere Ärgernisse. Neben unserem konstant geführten Shit Talk und dem Countdown, wann wir endlich wieder heim dürfen, hab ich hier und da auch mal was über Tschechien, Sparta(k) Prag, Craft Beer und vor allem über “specialty” Kaffee gelernt. Ich kann gar nicht in Worte fassen wie witzig die kleinsten Dinge waren, die sich zum Teil in unserer WG abspielten. Angefangen vom Tee im Wasserkocher, bis hin zum “Aurora Hunting” gab es immer witzige Dinge die passiert sind.
Insgesamt bin ich heil froh, dass ich mit Lukás und Noah in einer WG gewohnt habe. Es war nie kompliziert und auch immer lustig mit beiden. Ich hoffe dass wir uns irgendwo anders nochmal wiedersehen.
edit: heute weiß ich, wer den Tee in den Wasserkocher geschüttet hat 🇺🇸
The French Mans
Die WG nebenan, bestehend aus Tanguy, Tristan und Victor im Haus gegenüber, war vor allem der Anlaufpunkt, wenn man mitten in der Nacht Basketball, Formel 1 oder League of Legends Turniere schauen wollte. Darüber hinaus waren die drei immer dabei, wenn wir einen Ausflug planten oder bei uns in der WG Filme schauen wollten. Eigentlich waren wir immer irgendwie zusammen. Tanguy ist eigentlich schon am ersten Tag rausgestochen, allein aufgrund seiner Größe und dem nahezu perfekten Englisch, das bis zum Schluss niemand so fließend sprechen konnte wie er. Mit Tanguy war ich das erste Mal auf Soumenlinna und auch beim Hallen-Hockey (was nebenbei extrem langweilig war). Bis heute teilen wir eine intensive Liebe für Herr der Ringe. Das merkte man allein daran, dass in jeder Konversation mindestens eine LotR-Referenz versteckt war und unser Instagram-Chat heute noch hauptsächlich aus LotR-Memes besteht.
Victor und Tristan habe ich bis zum Schluss nie getrennt voneinander gesehen. Daher hatten einige (vielleicht war es auch nur ich) eine schwere Zeit, ihre Namen auseinanderzuhalten. Tristan und Victor waren die einzigen, die ich bis zum Schluss nahezu täglich in der Uni getroffen habe, weil sie, ähnlich wie ich, immer irgendwas für die Kurse machen mussten. Die beiden waren, wie auch Tanguy, immer dabei. Ich hoffe, für uns vier gibt es in den nächsten Jahren noch eine Reunion in Frankreich.
end of winter
Das Ende meiner Zeit in Finnland machte sich dadurch bemerkbar, dass langsam alle aus meinem direkten Umfeld abreisten. Dementsprechend wurde es im Haus und in den Apartments immer leerer und es gab die ein oder andere traurige Verabschiedung zu verarbeiten.
In den letzten zwei Wochen bekam ich noch Besuch von meinem Freund Luke, mit dem ich ungeplant im Garten einer bekannten finnischen Familie landete. Während unserer Tour fotografierte ich ein kleines Straßenfest, woraufhin mich ein alter Mann ansprach. Er lud uns in seinen Garten ein und führte uns zu einem Pavillon, unter dem seine Frau mit gekühltem Champagner saß, denn es war sein Geburtstag. Beide stellten sich vor und wir bemerkten sofort, dass sie kein gewöhnliches älteres Paar waren. Seine Frau erzählte uns von ihrem Leben, ihrem vorherigen Ehemann, der als Teilchenphysiker am CERN arbeitete und in Stanford lehrte, sowie von Reisen nach Italien und ihrer Familie. Unser Gastgeber stellte sich als Architekt vor und erzählte uns Geschichten über den Bau seines Hauses, die Gestaltung seines Gartens und seine Zeit als Architekt. Nach etwa einer halben Stunde stieß die Tochter unseres Gastgebers zu uns, die uns von ihrem Job als Regisseurin und ihren Projekten zusammen mit Netflix erzählte. Als dann immer mehr Familienmitglieder dazukamen, koppelten wir uns ab und verabschiedeten uns mit einem schweren, von Champagner vernebelten Kopf.
Kurz vor meiner Rückreise entschied ich mich für einen spontanen Ausflug nach Tallinn. Zusammen mit Victor fuhr ich um sieben Uhr mit der Fähre in Helsinki los. Und ich sage euch eins: Die Fährenfahrt war wirklich eine andere Erfahrung. Abgesehen von den Leuten, die in Hohlräumen unter der Treppe lagen, um zu schlafen, stachen vor allem jene Gäste heraus, die um 7:00 morgens bereits mit einer Jacky-Cola auf dem Sonnendeck saßen.
Tallinn selbst ist vermutlich eine der schönsten Städte, die ich während meines Auslandssemesters gesehen habe. Vor allem die Mischung aus mittelalterlichem Stadtkern und alternativen Randbezirken hat mir gut gefallen. Dort waren wir auch bei einer Pizzeria, die mir so oft wie keine andere während meiner Zeit in Helsinki empfohlen wurde. Ich packe sie hier direkt mal rein.
Die Zeit nach Finnland fliegt davon wie sonst nichts. Auch wenn es "nur" anderthalb Monate sind, die ich zurück in Deutschland bin, kommt es mir vor wie ein vergangenes Leben. Ich versuche immer noch, Kontakt zu den anderen zu halten, um bloß nicht komplett mit dem Kapitel Finnland abzuschließen. Am liebsten würde ich direkt noch einmal hinreisen. Vielleicht nicht über fünf Monate, aber ein paar Tage wären schon sehr schön. Jedoch wartet dort niemand von meinen Freunden aus dem Auslandssemester auf mich, was die ganze Angelegenheit zu einem ganz anderen Erlebnis macht, das ich so vielleicht gar nicht mag. Irgendwie fehlt ja dann doch etwas, wenn die Leute aus dem Erasmus nicht dort sind.
Nicer Bericht, erinnert mich sehr an meine Schweden Zeit mit 27. forever gone now